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Bereits im Februar 2022 hatte sich der 6. Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) erstmals mit dem Thema EncroChat befasst. Mein Kollege, der auf Revisionen von Strafurteilen spezialisierte Rechtsanwalt und Strafverteidiger Jens Schiminowski, hatte die Entscheidung hier näher beleuchtet:

https://strafverteidiger.team/encrochat/

Dabei handelte es sich allerdings um ein sogenanntes obiter dictum – also eine Rechtsansicht, die nicht die gefällte Entscheidung trägt, sondern nur geäußert wurde, weil sich die Gelegenheit dazu bot.

Nun aber, Anfang März 2022, hat der 5. Senat des BGH erstmals eine Verurteilung wegen Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bestätigt, weil die Verwertung der aus der Überwachung der Kommunikation über den Krypto-Messengerdienst EncroChat durch französische Behörden gewonnenen Erkenntnisse „keinen durchgreifenden Rechtsfehler“ aufgewiesen habe (BGH, Beschluss vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21).

Begründung des BGH

Der BGH macht viele Worte. Ich will aber versuchen, die m. E. wesentlichsten Punkte möglichst kurz darzustellen:

  1. Zunächst wiederholt der BGH sein ständiges credo, das deutsche Strafverfahrensrecht kenne keinen allgemeinen Grundsatz, wonach jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot zur Folge habe. Vielmehr erfolge im Einzelfall eine Abwägung der widerstreitenden Interessen. Das Gericht habe die Wahrheit zu erforschen und deshalb alle Beweismittel von Bedeutung zu erheben. Somit müsse es sich bei einem Beweisverwertungsverbot um eine Ausnahme handeln, die einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedürfe und ansonsten nur aus besonders wichtigem Grund anzuerkennen sei.
  2. Hier waren die Beweismittel im Wege der Rechtshilfe erlangt worden. Dann, so der BGH weiter, richte sich die Frage der Verwertbarkeit ausschließlich nach dem nationalen Recht des um Rechtshilfe ersuchenden Staates. Ausdrückliche Verwendungsbeschränkungen für im Wege der Rechtshilfe aus dem Ausland erlangte Kommunikationsdaten sehe das deutsche Recht aber nicht vor.
  3. Für Verstöße gegen höherrangiges Recht bestünden keine Anhaltspunkte. Insbesondere bestehe eine (widerlegbare) Vermutung dafür, dass andere Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die Grundrechte einhielten.
  4. Ob bei einem zwecks bewusster Umgehung strengerer inländischer Voraussetzungen gestellten Rechtshilfeersuchen eine andere Bewertung vorzunehmen wäre, bedürfe keiner Entscheidung, denn eine solche Konstellation sei weder dargetan noch sonst ersichtlich.

Kritik

Mich irritiert zunehmend, in welchem Tempo der Rechtsstaat geschwächt wird; Begründung:

  1. Wie stets, überzeugt mich bereits die Argumentation des BGH nicht, ungeschriebene Beweisverwertungsverbote seien nur ganz ausnahmsweise anzuerkennen. Dass es auch anders geht, ohne dass dies einen schwachen Staat zur Folge hat, zeigt das Beispiel der USA. Dort dürfen rechtswidrig gewonnene Beweise den Anklagevorwurf grundsätzlich nicht stützen. Ja, der amerikanische Strafprozess folgt nicht dem Inquisitionsprinzip, weswegen jeder Vergleich hinkt. Aber die derzeitige Doktrin des BGH stellt gar zu viele strafprozessuale Maßgaben in das völlige Belieben der Ermittlungsbehörden, weil selbst gezielte Missachtungen gänzlich folgenlos bleibt. Damit gerät die Strafprozessordnung, die ein faires Verfahren garantieren soll, in weiten Teilen zum bloßen Papiertiger.
  2. Dass das deutsche Recht zu Beweismitteln aus Quellen ausländischer Ermittlungsbehörden nichts weiter regelt, ist offenkundig eine Regelungslücke, die angesichts des mittlerweile regelmäßig stattfindenden Informationsaustauschs nicht hinnehmbar ist. Die lapidare Feststellung, das sei nun einmal so, ist mehr als unbefriedigend.
  3. Bei der (widerlegbaren) Vermutung, dass andere Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die Grundrechte einhielten, handelt es sich um eine wenig überzeugende Fiktion. Tatsächlich ist z. B. weder die Vollstreckung von Strafurteilen aus (allen) Mitgliedsstaaten in Deutschland ein Selbstläufer, noch die Vollstreckung deutscher Strafurteile in (allen) Mitgliedsstaaten – wobei es insofern auch keine widerlegbare Vermutung gibt, sondern stets geprüft wird, ob die Entscheidung in einem menschenrechtskonformen Verfahren ergangen ist bzw. die Haftbedingungen menschenrechtskonform sind.
  4. Dazu, welche Folgen eine bewusste Umgehung deutscher strafprozessualer Normen hat, hätte der BGH in einem obiter dictum Stellung beziehen können und sollen. Es ist zu befürchten, dass es auch hier auf den Einzelfall ankommen soll, dass also eine gezielte Missachtung der Anforderungen der StPO auch in dieser Art und Weise in den vielen Fällen folgenlos bleibt.

Praxis der Strafverteidigung

Es ist zu hoffen, dass die Frage dem Bundesverfassungsgericht und ggf. auch dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorgelegt wird. Die Praxis der Strafverteidigung hat sich jedenfalls bis auf weiteres darauf einzustellen, dass sämtliche Kommunikationsdaten in derlei Verfahren in zulässiger Weise gegen den Mandanten verwendet werden dürfen – vom praxisfernen Fall der Folter einmal abgesehen.

Ausblick

Wie schnell dann mit wenigen Äußerungen in einem Chat eine Verurteilung wegen Handels mit Betäubungsmitteln droht, soll in einem Folgebeitrag dargestellt werden. Hierzu besteht bei vielen Mandanten große Unkenntnis.