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Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich darüber berichtet hatte, welch strenge Voraussetzungen die Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen hat.

Später hatte ich erläutert, was gilt, wenn der türkische Staat die Auslieferung in die Türkei verlangt.

Nun hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Entscheidung vom 18. Dezember 2023 eine Auslieferung in die Türkei gestoppt, die das OLG Celle (OLG) zuvor für zulässig erachtet hatte; im Einzelnen:

Der Antrag des Beschwerdeführers

Dem Auslieferungsverfahren lag ein türkischer Haftbefehl zugrunde. Darin wird dem Beschwerdeführer bandenmäßige Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgeworfen. In anderer Sache saß der Beschwerdeführer in Deutschland im Maßregelvollzug. Während dessen Dauer wurde Auslieferungshaft angeordnet.

Die Türkei wurde ersucht zuzusichern, dass der Beschwerdeführer nach seiner Auslieferung Art. 3 EMRK und den in den europäischen Strafvollzugsgrundätzen des Ministerkomitees des Europarates festgelegten Mindeststandards entsprechend untergebracht werde und er keiner Folter sowie keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK unterworfen werde. Insbesondere ging es um die Zusicherung der Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt Yalvaç.

Die Türkei gab eine entsprechende Erklärung ab.

Der Beschwerdeführer beantragte die Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls. Yalvaç. liege mehr als 400 km vom Ort der Hauptverhandlung entfernt. Es sei daher anzunehmen, dass er für die Gerichtstermine entweder in eine andere Haftanstalt verbracht oder zur Teilnahme per Videokonferenz gezwungen werde.

Im Übrigen sei unklar, in welchem Umfang er in der Türkei überhaupt ein Recht zur Anwesenheit habe. Dieses sei zwar in Art. 6 EMRK nicht ausdrücklich genannt, sei aber für ein faires Strafverfahren unerlässlich. Dem genüge eine Videokonferenz nicht.

Die Generalstaatsanwaltschaft trat dem Antrag entgegen.

Die Entscheidung des OLG

Das OLG lehnte den Antrag letztlich ab: Eine Teilnahme an einer Hauptverhandlung sei nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ohne Verstoß gegen Art. 6 EMRK möglich, sofern – wie hier – bestimmte Bedingungen eingehalten würden. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Türkei nicht an ihre Zusicherungen hielte, gebe es nicht.

Die Entscheidung des BVerfG

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 2, Art. 19 Abs. 4, Art. 25 und Art. 103 Abs. 1 GG.

Das OLG verkenne die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der ein „Fernverfahren“ nur in Ausnahmefällen zulasse. Auch das BVerfG habe bereits entschieden, dass „anwesend“ nur der Angeklagte sei, der das Geschehen der Hauptverhandlung selbst in allen Einzelheiten sicher wahrnehmen und auf den Gang der Hauptverhandlung durch Fragen, Anträge und Erklärungen einwirken könne.

Das BVerfG hat die zulässige Verfassungsbeschwerde als begründet erachtet: Die Entscheidung des OLG verletze den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG.

Die mit Auslieferungssachen befassten Gerichte hätten den jeweiligen Sachverhalt vollständig aufzuklären und umfassend rechtlich zu prüfen. Dies umfasse auch die Frage, ob unabdingbare Grund- und Menschenrechte gewahrt würden. Zwar seien grundsätzlich völkerrechtlich bindende Zusicherungen des ersuchenden Staates zur Einhaltung dieser Mindeststandards ausreichend. Anders sei es, wenn es – wie hier – berechtigte Zweifel an der Einhaltung gebe.

Für ein faires Strafverfahren sei es von zentraler Bedeutung, dass der Angeklagte persönlich an der Hauptverhandlung teilnehme. Das gelte jedenfalls, wenn es – wie hier – um eine erstinstanzliche Tatsacheninstanz gehe. Der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschiedene Fall, sei entscheidend anders gelagert gewesen (die Einzelheiten werden in der Entscheidung des BVerfG ausgeführt). Dies habe das OLG verkannt.

Die vollständige Entscheidung des BVerfG ist hier nachzulesen:

2 BvR 1368/23

Praxis der Strafverteidigung

Für die Praxis der Strafverteidigung bedeutet das: Stets muss man bedenken, ob strafrichterliche Entscheidungen sich überhaupt noch auf dem Boden des Grundgesetzes und der EMRK bewegen. In der Praxis der Strafverteidigung geht der Blick für das eigentlich Wesentliche nämlich immer wieder einmal verloren. Strafverteidiger (und Mandant) dürfen sich daher nicht scheuen, das anzusprechen und ggf. „auszufechten“ – koste es auch Zeit, Mühe und Geld. Insbesondere in Auslieferungssachen verbietet sich zudem jede schematische Prüfung.