Zu den Besonderheiten des Jugendstrafrechts. Heute: Diversion.
(Bitte beachten: Soweit auf den Heranwachsenden Jugendstrafrecht Anwendung findet – mehr dazu in meinem Beitrag Reiferückstand und Jugendverfehlung -, gelten nachstehende Ausführungen zu Jugendlichen auch für diesen.)
Worum es im Jugendstrafrecht geht
In Kriminologie und Soziologie ist anerkannt: strafrechtliche Auffälligkeit im Jugendalter ist normal. Es handelt sich um eine psychologische und soziale Findungsphase, die weit bis in das Erwachsenenalter hineinreichen kann. Gerade bei jungen Männern steigt die Kriminalität im Alter zwischen 14 und 21 Jahren von 0 % auf 8 % an. Danach sinkt sie dann wieder deutlich ab. Nur für eine ganz kleine Gruppe sog. Intensivtäter gilt das nicht.
Erziehungsgedanke
Das Jugendgerichtsgesetz (JGG) legt als Ziel fest, dass es darum geht, erneute Straftaten des Jugendlichen zu verhindern. Zur Erreichung dieses Ziels, so das JGG weiter, sind die Rechtsfolgen primär am Erziehungsgedanken auszurichten. Strafe – Jugend(freiheits)strafe – hat danach Ausnahmecharakter. Vielmehr sind vorrangig Erziehungsmaßregeln (Weisungen, Hilfe zur Erziehung) und „Zuchtmittel“ (Verwarnung, Auflagen, Jugendarrest) anzuwenden. Insbesondere aber sieht das JGG besondere Möglichkeiten vor, wie die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung der Straftat absehen und das Gericht das Verfahren einstellen kann.
Besonderheit Diversion
Über die allgemeinen Möglichkeiten einer Verfahrensbeendigung hinaus, wie sie insbesondere die Strafprozessordnung (StPO) und das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) vorsehen, ermöglicht das JGG die sog. Diversion (in der Praxis richtet sich die Diversion auch nach den jeweiligen Diversionsrichtlinien). Im Einzelnen geht es um folgende Regelungen:
1. Absehen von der Verfolgung durch StA
a) 45 Abs. 1 JGG
Anders als im Erwachsenenstrafrecht kann die Staatsanwaltschaft im Jugendstrafverfahren stets ohne Zustimmung des Richters von der Verfolgung absehen, wenn die Voraussetzungen des § 153 StPO vorliegen. Die Voraussetzungen sind: die Schuld des Täters ist gering und es besteht kein öffentliches Verfolgungsinteresse.
b) 45 Abs. 2 JGG
Der Staatsanwalt sieht von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme eingeleitet ist oder der Täter sich um einen Ausgleich mit dem Opfer bemüht hat und (kumulativ) eine Richterbeteiligung entbehrlich ist.
c) 45 Abs. 3 JGG
Ist der Jugendliche geständig, so regt der Staatsanwalt eine Ermahnung, Weisungen oder Auflagen durch den Jugendrichter an, wenn er das für erforderlich hält, eine Anklage aber nicht. Entspricht der Jugendrichter der Anregung, so sieht der Staatsanwalt von der Verfolgung ab, aber nur, wenn der Jugendliche den Weisungen oder Auflagen nachgekommen ist.
2. Einstellung durch den Jugendrichter
Ist die Sache bereits angeklagt, so kann der Jugendrichter das Verfahren gemäß § 47 JGG einstellen, wenn (alternativ)
- die Voraussetzungen des § 153 StPO vorliegen (siehe oben);
- eine erzieherische Maßnahme i. S. § 45 Abs. 2 JGG (siehe oben) bereits eingeleitet ist;
- der Jugendliche geständig ist, der Richter ein Urteil für entbehrlich und eine Maßnahme i. S. § 45 Abs. 3 JGG (siehe oben) anordnet;
- der Jugendliche nicht über die erforderliche Verantwortungsreife verfügt (mehr dazu hier).
Nachteile der Diversion
Auch wenn die Diversion also die Möglichkeiten einer Verfahrensbeendigung erweitert, so hat sie nicht nur Vorteile.
Rechtsstaatlichkeit
Fragwürdig ist, dass Maßnahmen angeordnet werden können, obwohl zur Schuld des Jugendlichen keine Feststellungen getroffen wurden. Das ist nicht ohne weiteres mit dem Rechtsstaatsprinzip zu vereinbaren. Auch hat der Staatsanwalt im Falle der Verfahrensbeendigung nach § 45 Abs. 2 JGG (siehe oben) richterähnliche Kompetenzen.
Erziehungsregister
Irritierend ist, dass eine Diversion stets in das Erziehungsregister eingetragen wird. Anders als im Fall der allgemeinen Möglichkeiten eine Verfahrensbeendigung wird ein Absehen von der Verfolgung bzw. eine Einstellung nach JGG in einem etwaigen künftigen Verfahren also stets bekannt und wirkt sich dann im Zweifel zum Nachteil des Jugendlichen aus – trotz fehlender Schuldfeststellung.
Vorrang der allgemeinen Möglichkeiten der Verfahrensbeendigung
Der Verteidiger wird daher die allgemeinen Möglichkeiten einer Verfahrensbeendigung vorrangig in Betracht ziehen – z. B. eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts. Strittig ist dabei, ob die Möglichkeit einer Einstellung unter Auflagen und Weisungen gemäß § 153a StPO von den §§ 45 und 47 JGG verdrängt wird. Bei einem Vergehen (Vergehen sind Straftaten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe unter einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht sind) muss der Verteidiger für die Anwendung der allgemeinen Vorschrift des § 153a StPO kämpfen. Bei einem Verbrechen hingegen (Verbrechen sind Straftaten, die im Mindestmaß mit einem Jahr Freiheitsstrafe oder mehr bedroht sind), wäre § 153a StPO nicht anwendbar und die Möglichkeiten des JGG sind deshalb zu nutzen.
(Bitte beachten: Soweit auf den Heranwachsenden Jugendstrafrecht Anwendung findet – mehr dazu in meinem Beitrag Reiferückstand und Jugendverfehlung -, geltend nachstehende Ausführungen zu Jugendlichen auch für diesen.)
Worum es im Jugendstrafrecht geht
In Kriminologie und Soziologie ist anerkannt: strafrechtliche Auffälligkeit im Jugendalter ist normal. Es handelt sich um eine psychologische und soziale Findungsphase, die weit bis in das Erwachsenenalter hineinreichen kann. Gerade bei jungen Männern steigt die Kriminalität im Alter zwischen 14 und 21 Jahren von 0 % auf 8 % an. Danach sinkt sie dann wieder deutlich ab. Nur für eine ganz kleine Gruppe sog. Intensivtäter gilt das nicht.
Erziehungsgedanke
Das Jugendgerichtsgesetz (JGG) legt als Ziel fest, dass es darum geht, erneute Straftaten des Jugendlichen zu verhindern. Zur Erreichung dieses Ziels, so das JGG weiter, sind die Rechtsfolgen primär am Erziehungsgedanken auszurichten. Strafe – Jugend(freiheits)strafe – hat danach Ausnahmecharakter. Vielmehr sind vorrangig Erziehungsmaßregeln (Weisungen, Hilfe zur Erziehung) und „Zuchtmittel“ (Verwarnung, Auflagen, Jugendarrest) anzuwenden. Insbesondere aber sieht das JGG besondere Möglichkeiten vor, wie die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung der Straftat absehen und das Gericht das Verfahren einstellen kann.
Besonderheit Diversion
Über die allgemeinen Möglichkeiten einer Verfahrensbeendigung hinaus, wie sie insbesondere die Strafprozessordnung (StPO) und das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) vorsehen, ermöglicht das JGG die sog. Diversion (in der Praxis richtet sich die Diversion auch nach den jeweiligen Diversionsrichtlinien). Im Einzelnen geht es um folgende Regelungen:
1. Absehen von der Verfolgung durch StA
a) 45 Abs. 1 JGG
Anders als im Erwachsenenstrafrecht kann die Staatsanwaltschaft im Jugendstrafverfahren stets ohne Zustimmung des Richters von der Verfolgung absehen, wenn die Voraussetzungen des § 153 StPO vorliegen. Die Voraussetzungen sind: die Schuld des Täters ist gering und es besteht kein öffentliches Verfolgungsinteresse.
b) 45 Abs. 2 JGG
Der Staatsanwalt sieht von der Verfolgung ab, wenn eine erzieherische Maßnahme eingeleitet ist oder der Täter sich um einen Ausgleich mit dem Opfer bemüht hat und (kumulativ) eine Richterbeteiligung entbehrlich ist.
c) 45 Abs. 3 JGG
Ist der Jugendliche geständig, so regt der Staatsanwalt eine Ermahnung, Weisungen oder Auflagen durch den Jugendrichter an, wenn er das für erforderlich hält, eine Anklage aber nicht. Entspricht der Jugendrichter der Anregung, so sieht der Staatsanwalt von der Verfolgung ab, aber nur, wenn der Jugendliche den Weisungen oder Auflagen nachgekommen ist.
2. Einstellung durch den Jugendrichter
Ist die Sache bereits angeklagt, so kann der Jugendrichter das Verfahren gemäß § 47 JGG einstellen, wenn (alternativ)
- die Voraussetzungen des § 153 StPO vorliegen (siehe oben);
- eine erzieherische Maßnahme i. S. § 45 Abs. 2 JGG (siehe oben) bereits eingeleitet ist;
- der Jugendliche geständig ist, der Richter ein Urteil für entbehrlich und eine Maßnahme i. S. § 45 Abs. 3 JGG (siehe oben) anordnet;
- der Jugendliche nicht über die erforderliche Verantwortungsreife verfügt (mehr dazu hier).
Nachteile der Diversion
Auch wenn die Diversion also die Möglichkeiten einer Verfahrensbeendigung erweitert, so hat sie nicht nur Vorteile.
Rechtsstaatlichkeit
Fragwürdig ist, dass Maßnahmen angeordnet werden können, obwohl zur Schuld des Jugendlichen keine Feststellungen getroffen wurden. Das ist nicht ohne weiteres mit dem Rechtsstaatsprinzip zu vereinbaren. Auch hat der Staatsanwalt im Falle der Verfahrensbeendigung nach § 45 Abs. 2 JGG (siehe oben) richterähnliche Kompetenzen.
Erziehungsregister
Irritierend ist, dass eine Diversion stets in das Erziehungsregister eingetragen wird. Anders als im Fall der allgemeinen Möglichkeiten eine Verfahrensbeendigung wird ein Absehen von der Verfolgung bzw. eine Einstellung nach JGG in einem etwaigen künftigen Verfahren also stets bekannt und wirkt sich dann im Zweifel zum Nachteil des Jugendlichen aus – trotz fehlender Schuldfeststellung.
Vorrang der allgemeinen Möglichkeiten der Verfahrensbeendigung
Der Verteidiger wird daher die allgemeinen Möglichkeiten einer Verfahrensbeendigung vorrangig in Betracht ziehen – z. B. eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts. Strittig ist dabei, ob die Möglichkeit einer Einstellung unter Auflagen und Weisungen gemäß § 153a StPO von den §§ 45 und 47 JGG verdrängt wird. Bei einem Vergehen (Vergehen sind Straftaten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe unter einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht sind) muss der Verteidiger für die Anwendung der allgemeinen Vorschrift des § 153a StPO kämpfen. Bei einem Verbrechen hingegen (Verbrechen sind Straftaten, die im Mindestmaß mit einem Jahr Freiheitsstrafe oder mehr bedroht sind), wäre § 153a StPO nicht anwendbar und die Möglichkeiten des JGG sind deshalb zu nutzen.