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Die Verwertung von Daten aus dem EncroChat-Hack ist mittlerweile durch den BGH abgesegnet:

https://strafverteidiger-schlei.de/encrochat-update/

Und auch der EuGH nimmt eine Verwertbarkeit an, wenn bestimmte Bedingungen eingehalten werden.

Umso spannender ist die Frage, wie es um die Verwertbarkeit von Daten aus ANOM-Chats bestellt ist.

Was war EncroChat?

EncroChat war ein privater Kommunikationsanbieter, der angeblich abhörsichere Mobiltelefone anbot und eine eigene Serverinfrastruktur besaß. Über einen dieser Server wurde EncroChat durch französische Behörden infiltriert. Dabei hatte die französische Staatsanwaltschaft für diverse Maßnahmen das gerichtliche OK eingeholt.

Im Ergebnis konnte die laufende Kommunikation unverschlüsselt abgefangen und auf einen Server der Behörden ausgeleitet werden. Die Ergebnisse teilten die französischen Behörden mit Ermittlungsbehörden in ganz Europa. Allein in Deutschland konnten so rund 3.000 Nutzer ermittelt werden. Es kam zu zahlreichen Strafverfahren.

Einzelheiten finden sich hier:

https://de.wikipedia.org/wiki/EncroChat

Was war ANOM?

Bei ANOM handelte es sich um eine Verschlüsselungs-App, die in Verbindung mit einem Kryptohandy die angeblich abhörsichere Kommunikation wiederum über eigene Server ermöglichen sollte. Als Anbieter trat ein gleichnamiges Unternehmen auf. Von Panama aus wurden mehr als 12.000 Geräte an über 300 kriminelle Banden in mehr als 100 Ländern geliefert. Tatsächlich handelte es sich bei ANOM um eine Tarnorganisation des FBI. Im Rahmen der sogenannten Operation Trojan Shield (auch Operational Task Force Greenlight oder Operation Ironside genannt) konnten so 27 Millionen Nachrichten mitgelesen werden.

Da der ANOM-Server nicht in den USA betrieben werden durfte und keine US-Bürger überwacht werden durften, wurde der Server zunächst in Australien betrieben, dort aber wurde die Datenweitergabe an die USA und andere Drittstaaten verboten. So wurde der Server schließlich in einem bislang unbekannten Mitgliedsstaat der Europäischen Union betrieben, wo die Daten nach dem dortigen nationalen Recht auf der Grundlage einer gerichtlichen Anordnung erhoben worden sein sollen. Von dort wurden die Daten dann wohl zunächst in die USA weitergeleitet und schließlich vom FBI Ermittlungsbehörden weltweit zur Verfügung gestellt.

Einzelheiten sind hier nachzulesen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Trojan_Shield

Die Rechtsprechung zu EncroChat

Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung dürfen nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch das Gericht angeordnet werden. Nur bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung auch durch die Staatsanwaltschaft getroffen werden. Erlangte Daten dürfen in anderen Strafverfahren nur zur Aufklärung schwerster Straftaten verwendet werden. Soweit die deutsche Strafprozessordnung.

Für im Wege der Rechtshilfe erlangte Beweise, so der BGH, gelte aber ein anderer Prüfungsmaßstab. Danach beurteile sich die Rechtmäßigkeit von Ermittlungshandlungen ausschließlich nach dem Recht des ersuchten Staates. Ein Beweisverwertungsverbot komme dann nur in Betracht, wenn rechtsstaatliche Prinzipien in eklatanter Weise verletzt seien. Ansonsten finde eine Prüfung fremden hoheitlichen Handelns nicht statt. Vielmehr gebe es einen Grundsatz gegenseitigen Vertrauens sowie die (widerlegbare) Vermutung, dass andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union das Unionsrecht und insbesondere die Grundrechte einhalten. Hier sei es erkennbar nicht um eine anlasslose Massenüberwachung und damit eine im Kern geheimdienstliche Maßnahme gegangen, sondern bei den Nutzern von EncroChat habe es sich evident um solche aus dem Bereich der organisierten Kriminalität wie Drogen- und Waffenhandel oder Geldwäsche gehandelt.

Die vollständige Entscheidung des 5. Strafsenats des BGH ist hier nachzulesen:

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=2022&nr=127966

Die bisherige Rechtsprechung zu ANOM

Höchstrichterliche Entscheidungen zur Verwertbarkeit von Daten aus ANOM-Chats fehlen bislang.

Das OLG München nimmt ein Beweisverwertungsverbot an. Andere Gerichte beurteilen die Frage anders.

Durch die Geheimhaltung des Mitgliedsstaates der europäischen Union sieht sich das OLG München seine Aufklärungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt. Auch die Verteidigungsrechte des Angeklagten seien so erheblich beschränkt. So sei nicht zu klären, ob bei Beginn der Abhörmaßnahmen ein individualisierter Tatverdacht gegen die betroffenen Personen überhaupt vorgelegen habe. Es bestünden vielmehr Anhaltspunkte für eine anlasslose Massenüberwachung. Aus diesem Grund bestünden erhebliche Zweifel daran, ob für die Datenerhebungen nach USamerikanischem Recht oder nach deutschem Recht eine Ermächtigungsgrundlage bestehe. Gleiches gelte für die Weitergabe von Daten an die ermittelnden Behörden.

https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2023-N-30017?hl=true

Bedeutung für die Praxis der Strafverteidigung

Der Verwertung von Daten aus ANOM-Chats muss widersprochen werden.

Im Falle einer Verurteilung sollte die Entscheidung mit der Revision angegriffen werden.

Ggf. sollte Verfassungsbeschwerde erhoben und der Gang zum EuGH erwogen werden.

Die Verteidigung in der Tatsacheninstanz muss hier also in besonderer Art und Weise den weiteren Rechtsweg im Blick haben.