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In diesem ersten Teil einer neuen Beitragsreihe zum Wirtschaftsstrafrecht möchte ich das Thema der Insolvenzverschleppung (Verletzung der Insolvenzantragstellungspflicht) behandeln – weil es häufig vorkommt und nicht trivial ist.

Der Wortlaut des § 15 InsO

§ 15a InsO regelt die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags im Falle der Unternehmenskrise. § 15a InsO regelt auch, welche Rechtsfolgen es hat, wenn der Insolvenzantrag nicht (rechtzeitig) gestellt wird. In § 15a InsO heißt es u. a.:

„(1) Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet, haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, einen Eröffnungsantrag zu stellen. Das Gleiche gilt für die organschaftlichen Vertreter der zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigten Gesellschafter oder die Abwickler bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist; dies gilt nicht, wenn zu den persönlich haftenden Gesellschaftern eine andere Gesellschaft gehört, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist.

(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer … einen Eröffnungsantrag 

  1. nicht oder nicht rechtzeitig stellt oder
  2. nicht richtig stellt.

(5) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 4 fahrlässig, ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

…“

Das Tatbestandsmerkmal der Unternehmenskrise

Ein Unternehmen befindet sich in der Krise, wenn es überschuldet oder zahlungsunfähig ist.

1. Überschuldung

Eine Definition des Überschuldungsbegriffs findet sich in § 19 Abs. 2 InsO:

„Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.“

Wird also (bilanzielle) Überschuldung festgestellt, so ist ein einem zweiten Schritt zu prüfen, wie es um die Fortführung des Unternehmens bestellt ist. Auch die Fortführungsprognose bestimmt sich primär anhand der Bilanz (Anhang/Erläuterungen). Ergibt sich danach die Erwartung einer Besserung, ist jedenfalls ein vorsätzliches Handeln schwer nachweisbar. Ausnahmen: kollusives Zusammenwirken des Bilanzerstellers und des Unternehmers oder evident negative Prognose.

Ist der Fortbestand des Unternehmens nach der Bilanz unklar, so ist eine Prognose anhand der Betriebswirtschaftlichen Auswertung (BWA) zu erstellen. Bei positivem Ergebnis liegt keine Überschuldung vor. Bei negativem Ergebnis sind Vermögen und Verbindlichkeiten einander gegenüberzustellen unter Zugrundelegung von Liquidationswerten.

Mehr zur Fortführungsprognose

Die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Fortführung des Unternehmens muss anhand einer Prognoserechnung dargelegt werden. Die Fortführungsprognose muss nach sachgerechten Kriterien und für sachverständige Dritte nachvollziehbar erstellt werden. Erforderlich ist ein aussagekräftiges und plausibles Unternehmenskonzept, in dem die finanzielle Entwicklung des Unternehmens für den Prognosezeitraum dargestellt werden muss. Empfehlung für den Geschäftsführer: Die der Fortführungsprognose zu Grunde gelegten Tatsachen sollten belegt werden, da die Darlegungs- und Beweislast für die positive Fortführungsprognose in einem späteren Verfahren den Geschäftsführer trifft.

2. (Eingetretene) Zahlungsunfähigkeit

Eine Definition des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit findet sich in § 17 Abs. 2 InsO:

„Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.“

Im Einzelnen bedeutet das:

a) Zahlungsstockung

Es handelt sich um eine bloße Zahlungsstockung, wenn ein Zeitraum nicht überschritten wird, den eine kreditwürdige Person benötigt, um sich die benötigten Mittel zu besorgen. Dafür erscheinen drei Wochen erforderlich, aber auch ausreichend.

b) Liquiditätslücke < 10%

Falls die Liquiditätslücke weniger als 10% beträgt, liegt grundsätzlich keine Zahlungsunfähigkeit vor. Ausnahme: Es ist absehbar, dass Lücke demnächst größer als 10% sein wird, weil die begründete Erwartung besteht, dass sich Niedergang des Unternehmens fortsetzen wird.

c) Liquiditätslücke > 10%

Ist die Liquiditätslücke größer als 10%, liegt grundsätzlich Zahlungsunfähigkeit vor. Ausnahme: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist zu erwarten, dass die Lücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird, und es ist den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls auch zumutbar.

d) Feststellungsmethoden

Leider behandelt auch die höchstrichterliche Rechtsprechung die Frage, wie Zahlungsunfähigkeit genau festzustellen ist, nicht einheitlich. Folgende Methoden werden diskutiert:

(1) Erste betriebswirtschaftliche Feststellungsmethode

Bei der ersten Methode werden vorhandene liquide Mittel und fällige Verbindlichkeiten einander gegenübergestellt. Zu analysierender Zeitraum: 6 Monate. Für Zahlungsunfähigkeit spricht, wenn die Verbindlichkeiten zu weniger als 90% durch liquide Mittel gedeckt sind.

(2) Zweite betriebswirtschaftliche Feststellungsmethode

Eine andere Methode stellt auf eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung liquider Mittel (ohne Forderungen) und fälliger Verbindlichkeiten sowie die Überprüfung des sich daran anschließenden 3-Wochen-Zeitraums ab. Es wird dabei danach gefragt, was dem Unternehmen in diesem Zeitraum an Mitteln zugeflossen ist und welche fälligen Verbindlichkeiten hinzugekommen sind.

(3) Wirtschaftskriminalistische Methode

Die Zahlungsunfähigkeit kann aber auch durch die wirtschaftskriminalistische Methode festgestellt werden. Die Methode stellt auf Indizien der folgenden Art ab:

  • wiederholte Überschreitung von Zahlungszielen;
  • Nichtbeachtung von Rechnungen und Mahnungen;
  • Nichtzahlen wesentlicher Verbindlichkeiten wie Arbeitsentgelte und Sozialversicherungsbeiträge;
  • Kreditkündigungen;
  • Rücklastschriften;
  • Scheck- und Wechselprotest;
  • erfolglose Vollstreckungsversuche;
  • Insolvenzanträge von Gläubigern.
(4) Vereinfachte Methode

Der sogenannten vereinfachten Methode liegt die Annahme zugrunde, dass ein Mangel an Liquidität in einem Zeitraum von maximal drei Wochen zu beseitigen sein muss, da eine kreditwürdige Person in der Lage sei, sich binnen zwei bis drei Wochen die benötigten Beträge darlehensweise zu beschaffen. Sonst liegt Zahlungsunfähigkeit vor.

Ausgehend vom Zeitpunkt des Insolvenzantrages wird die älteste im Zeitpunkt des Antrages offene Verbindlichkeit ermittelt. Ist diese nicht ganz unmaßgeblich, liegt jedenfalls mit ihrer Fälligkeit Zahlungsunfähigkeit vor. Trat diese Fälligkeit mehr als drei Wochen vor Insolvenzantragstellung ein, ist der objektive Tatbestand erfüllt.

Vorsatz ist bereits dann gegeben, wenn der Betroffene Kenntnis vor der Nichtbegleichung der Verbindlichkeit binnen drei Wochen nach Fälligkeit hat und es sich um einen erkennbar normalen Krisenverlauf handelt.