Zu Theorie und Praxis der Rolle des Strafverteidigers hatte ich hier bereits elementares ausgeführt. Dabei war ich zu dem Schluss gelangt, dass der Verteidiger vor allem auf ein für seinen Mandanten faires Verfahren zu achten und ggf. auch dafür zu kämpfen hat. Nimmt man das ernst, wird man schnell mit dem Vorwurf der sogenannten Konfliktverteidigung konfrontiert.
Was mit „Konfliktverteidigung“ häufig gemeint ist
Der Begriff der Konfliktverteidigung wird häufig polemisch verwendet, nämlich um so ein zwar zulässiges, aber gleichwohl unliebsames Verteidigerhandeln zu diskreditieren. Dies hat seine Ursache darin, dass ein Verteidiger, der von seinen Rechten Gebrauch macht, naturgemäß zu einer Verlängerung der Verfahrensdauer beiträgt. Oftmals wird daher jegliches Verteidigerhandeln als Störung des Prozessablaufs empfunden. Für eine gar engagierte, ja kämpferische Verteidigung gilt das dann umso mehr.
Was Konfliktverteidigung wirklich bedeutet
Es liegt aber an der Ausgestaltung des deutschen Strafverfahrens als inquisitorischem Prozess unter der Leitung des Vorsitzenden Richters, dass sein Ablauf im Wesentlichen durch kontradiktorisches Verhalten der Verfahrensbeteiligten bestimmt ist. Daran ändern weder die (weitreichende, aber – systembedingt – nicht umfassende) Unabhängigkeit des Richters etwas, noch die Anwesenheit der Staatsanwaltschaft als angeblich objektivster Behörde der Welt. Jede Verteidigung ist daher notwendigerweise ein gutes Stück weit Konfliktverteidigung.
Anders ausgedrückt: Der Verteidiger, der
- kritisch hinterfragt, ob das Gericht ordnungsgemäß besetzt ist,
- fragwürdiges Verhalten des Gerichts, eines Sachverständigen oder eines Dolmetschers kritisch darauf hin prüft, ob es einem vernünftigen Angeklagten Anlass zur Besorgnis der Befangenheit gibt,
- bei fragwürdigem Verhalten des Vorsitzenden dessen Sachleitung beanstandet,
- Erklärungen zum Ergebnis der Beweisaufnahme abgibt (ohne das Plädoyer vorwegzunehmen),
- Beweisanträge stellt,
und vieles mehr, handelt ja gerade im Sinne der Sicherstellung der Funktionalität des Strafverfahrens – mag sich die Verfahrensdauer hierdurch auch noch so sehr verlängern. Denn er fördert das Verfahrensziel der Verfahrensgerechtigkeit durch sein engagiertes beharrliches Bemühen hierum. Auch der um größte Objektivität bemühte Richter kann das häufig nicht alleine leisten, denn auch er unterliegt – wie jeder Mensch – unter anderem in vielfacher Hinsicht einer verzerrten Wahrnehmung, Verarbeitung und Wiedergabe von Informationen. Bei der Staatsanwaltschaft als Behörde (nicht beim einzelnen Sitzungsvertreter) besteht bereits die Problematik der Weisungsgebundenheit.
Höchst bedenklich ist es dann, wenn selbst die höchstrichterliche Rechtsprechung annimmt, dass unzulässiges Verteidigerhandeln auch dann vorliegen kann, wenn die formalen Grenzen der Verteidigung beachtet werden – nämlich dann, wenn das Verteidigerhandeln nicht mehr der Förderung des Verfahrens diene. Dabei handelt es sich nämlich um ein Abstellen auf innere Tatsachen, die sich auch der Erkenntnis des kompetentesten Richters vollständig entziehen. Und so liegt es denn nahe, auf das Hilfskonstrukt äußerer Anhaltspunkte für das Vorliegen innerer Tatsachen abzustellen- was aber an der Problematik letztlich nichts ändert.
Abgrenzung zur Klamaukverteidigung (Chaosverteidigung)
Klamaukverteidigung oder Chaosverteidigung liegt demgegenüber vor, wenn die Grenzen zulässigen Verteidigerverhaltens erkennbar überschritten werden. Die Beispiele hierfür sind zahlreich. Der Staatsanwalt Dr. Heiko Artkämper verzeichnet in der neuesten Auflage seines lesenswerten Werks ‚Die „gestörte“ Hauptverhandlung‘ mittlerweile 621 Fälle offener und verdeckter Störungen des Verfahrensablaufs. Tatsächlich soll es erfahrene Kollegen geben, die sich geradezu einen Spaß daraus machen, unerfahrenere Richter „ins Bockshorn zu jagen“. Aber auch erfahrene Spruchkörper werden in der Beanstandung selbst unzulässigen Verteidigerhandelns zumeist Vorsicht walten lassen, um keinen Grund für ein zulässiges Verteidigerhandeln oder für eine Revision zu schaffen.