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In meinem ersten Blogbeitrag zum neuen Cannabisgesetz hatte ich bereits einige Punkte angesprochen, die rechtlich bedenklich erscheinen:

https://strafverteidiger-schlei.de/betaeubungsmittel-cannabisgesetz-teil-1/

Insbesondere das Nebeneinander von erlaubter bzw. strafbarer Pflanzenmenge einerseits und das Abstellen auf Wirkstoffgehalt andererseits bereitet Probleme – auch weil die Bestimmung der nicht geringen Menge erneut der Rechtsprechung vorbehalten bleiben soll (mit den hieraus resultierenden verfassungsrechtlichen Bedenken).

Die Entscheidung des BGH

Und schon kommt es, wie es kommen muss: Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat am 18.04.2024 entschieden, dass die Wirkstoffmenge, ab der eine nicht geringe Menge vorliegt, der bisherigen entspricht: 7,5 Gramm THC – der neue THC-Grenzwert ist also der alte:

https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&sid=a03692d05d24e4f12b17a996d8792c85&nr=137355&pos=0&anz=1

Warum die Entscheidung falsch ist

Das ist bereits aus den folgenden beiden Gründen falsch:

1. Die Maßgabe des Gesetzgebers

In der Begründung des Regierungsentwurfs zum Cannabisgesetz heißt es u. a. auf S. 132.:

„Der konkrete Wert einer nichtgeringen Menge wird abhängig vom jeweiligen THC-Gehalt des Cannabis von der Rechtsprechung aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln sein. Im Lichte der legalisierten Mengen wird man an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten können und wird der Grenzwert deutlich höher liegen müssen als in der Vergangenheit.“

https://dserver.bundestag.de/btd/20/087/2008704.pdf

Der 1. Strafsenat des BGH behauptet hierzu – unter Rückgriff auf z. T. 40 Jahre alte Entscheidungen – schlicht, es gebe keine geänderte Risikobewertung – und ignoriert damit die Maßgabe des Gesetzgebers. Ich bekräftige daher meinen Standpunkt, dass der Gesetzgeber den Grenzwert der nicht geringen Menge selbst bestimmen muss – schon um dem Bestimmtheitsgebot zu genügen, aber auch um derlei zu verhindern.

2. Iudex non calculat

Der Richter rechnet nicht. Sollte er aber. M. W. hat Cannabis hierzulande derzeit einen durchschnittlichen Wirkstoffgehalt von 18 Prozent. Dann kann bei einer bei einem Erwachsenen eigentlich erlaubten Pflanzenmenge von 50 Gramm die so festgelegte nicht geringe Menge THC bereits erreicht, ja überschritten sein (tatsächlich wäre dies bereits bei 42 Gramm Pflanzenmenge mit einem solchen Wirkstoffgehalt der Fall). Bei den 60 Gramm, die nur eine Ordnungswidrigkeit sein sollen, gilt das umso mehr. Ersten Berichten zufolge beschlagnahmt die Polizei weiterhin Pflanzenmengen unterhalb der 50 Gramm – nebst der üblichen Beschlagnahme von Mobiltelefon und kleinster Bargeldmengen in angeblich Dealer-typischer Stückelung.

Eine ausführlichere Würdigung vorgenannten Urteils bleibt vorbehalten. Brauchbare Kommentierungen finden sich aber bereits an anderer Stelle im Netz.

Fazit und Bedeutung für die Praxis der Strafverteidigung

Gesetzgeber, aber auch Gerichte richten ein juristisches Durcheinander an, das dem Strafverteidiger wohl ein weiteres Betätigungsfeld eröffnet als vor Inkrafttreten des Cannabisgesetzes. Ersten Berichten zufolge beschlagnahmt die Polizei weiterhin Pflanzenmengen unterhalb der 50 Gramm – nebst der üblichen Beschlagnahme von Mobiltelefon und kleinster Bargeldmengen in angeblich Dealer-typischer Stückelung.

Hier finden Sie meine anderen Beiträge zum Betäubungsmittelstrafrecht:

https://strafverteidiger-schlei.de/category/betaeubungsmittel/